Ich schreite über den dicht bewachsenen Friedhof. Zwischen manchem Busch, der sich seine Grüne bis in den November zu erhalten schaffte, dringt der ein oder andere Ton der Beisetzung von der ich gerade komme. Ich atme tief ein und aus. Wie so oft war es eine sehr bewegende Uebergangsfeier. Diesmal von jemanden, der kürzlich die Schwelle eines halben Jahrhunderts passierte. Die meisten sagen: er starb zu früh. Ich lasse es nochmal Revue passieren. Die Gespräche mit vielen Leuten, aus denen ich die Briefrede entwickelte, den Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des sehr fürsorglichen Bestattungshauses, den Gang zur Halle samt den Gesichtern, während der Uebergangsfeier und auch die Situation an der Beisetzungsstelle. Oft begleite ich diese Prozesse. En détail sind sie über alles Formelle hinaus in Zügen stets anders. Und doch erlebe ich manches Gemeinsames. Wäre ich jetzt in einem belebten, untriebigen Gespräch würde ich vermutlich dazu neigen nun Beziehungen zu unserer diesländischen Trauerkultur als Teil der Uebergangskultur zu knüpfen. Das wäre fachlich betrachtet mindestens fragwürdig. Kultur ist ein kräftiger, vielseitiger, beinahe transzendentaler Begriff. Daher möchte ich mich zunächst bemühen an dem Ursprung dieser Gedanken zu bleiben, also der praktischen Situation.
Bei vielen Uebergangsveranstaltungen erlebe ich Verunsicherung. Was gehört sich? Was darf ich? Was soll ich sagen? Welche Worte sind angemessen? sind einige Fragen, die sich einige womöglich sogar bewusst stellen. Hinzu kommen auch organisatorische Fragen: Was gebe ich den engsten Angehörigen? Wenn Geld, was ist angemessen? Wann übergebe ich es? Wo darf ich Platz nehmen? Das sind ebenfalls nur einige wenige. Die Fragen, welche ich noch nie gestellt hörte, sind einige strukturelle: Kann ich vortreten und noch etwas laut sagen? Wie genau trete ich an die Beisetzungsstelle? Ist es ok, dort zu verharren? Muss ich danach an die Angehörigen herantreten? Darf ich nach meinem Abschied einfach gehen?
Natürlich sind die Kategorien dieser Fragen (persönliche, organisatorische, strukturelle) nicht scharf. Das müssen sie auch nicht. Es geht um die Sache selbst. Das sind alles Themen, die tendenziell wenig angesprochen werden. Ich beobachte, dass das Thema Sterben an sich schon eher wenig kommuniziert wird. Die meisten sind - wenn dann - plötzlich betroffen. Betroffene stellen sich derartige Fragen, aus sehr verständlichen Gründen, eher selten. Die Menschen drumherum nehmen Rücksicht und verzichten daher auch darauf. Einige sind (leider) erfahren, was diese Form der Uebergaenge angeht, doch wird sich dann zumeist auf die Sachse selbst konzentriert und bestimmte Handlungen schlicht wiederholt, bspw. das Herantreten an die Beisetzungsstelle.
Alle diese Frage und letztlich das Gestalten von Uebergangsfeiern sind unheimlich essenziell für die Verarbeitung. Ich begrüße die vielen und zunehmenden individuellen Arrangements betreffs dieser Prozesse. Doch ebenso sehe ich darin eine auch in anderen Bereichen beobachtete Umgangsweise, die ich mir auch kritisch durchdacht wünsche: nämlich, statt Uebergaenge dieser Art sowie dem was darauf folgt auch gesellschaftlich, daher auch kulturell zu bearbeiten (besonders in Zeiten wie diesen), wird schlicht das Individualisierungsventil aufgedreht. Das mag bei entsprechender Begleitung durchs Bestattungshaus und besonders durch die Rednerinnen bzw. Redner zwar für den Moment und in Erinnerung für die nächsten (i.S.v. nah) Angehörigen Balsam sein, vermag allerdings langfristig und gemeinschaftlicher gedacht für weitere kommunikative, also auch emotionale Irritationen, wenn nicht sogar Kaskaden sorgen. Irritationen und Kaskaden, die sich zu all den anderen zwangsläufig drängen. Darum möge auch hier betont werden: alles ist miteinander verbunden und vieles zeigt sich naturgemäß Jahre später.