Die Krawattendichte in dem riesigen Raum war hoch. Der Geruch frisch gebrühten Kaffees tanzte mit dem fleißiger, gutaussehender Servicekräfte. Noch
viele Male sah ich sie mit vollen Tablets an diesem Tag. Businessmoderation stand auf dem Programm. Alles Führungskräfte. Die meisten waren schon Jahrzehnte im Geschäft. Ich will nicht sagen,
dass ich aufgeregt war, aber ich spürte schon eine sehr bestimmte Form von Respekt. Respekt den Prozess mit all diesen Menschen gestalten zu dürfen, deren Berufsalltage, sprich mindestens 60, 70,
80 Stunden die Woche aus dem Umgang mit anderen Menschen bestehen – meist stark hierarchisiert.
Der Termin verlief im Großen und Ganzen sehr erfolgreich. Mit klaren Meeting-Zielen vor Augen und der Aussicht früher Feierabend zu machen als
sonst, ließ es sich sehr prozessintensiv arbeiten. Im Anschluss trank ich noch etwas bei den Servicekräften draußen an der Bar im Foyer des
4-Sterne-Hotels. Neben mir war die Wand komplett verglast. Ich schaute hinaus auf das Treiben der Stadt. Es wirkte wie ein surreales Aquarium voll mit hinausschwirrenden, telefonierenden
Führungskräften, eilig geschobenen Kinderwägen, rasenden Fahrradfahrern, sprechenden Passanten und, und, und. Mein Blick fokussierte nicht, sondern sog alles einfach in sich auf, wie ein sich
bewegendes Farbspiel, begleitet von Reflexionen des bisherigen Tages.
Mir wurde klar, dass es sicherlich Leute gibt, die sehr viel Erfahrung im Umgang mit Menschen haben, u. a. auch als Führungskraft. Doch macht das
die Führungskraft zu einem Experten des Führens? Oder anders: Ist jemand, der viel Erfahrung mit seinen oder Kindern generell gemacht hat, ein Experte fürs
Elternsein? Damit meine ich nicht die Büchse der Definitionspandora zu öffnen. Das wird schon genug gemacht. Schlichtweg wurde mir im Zuge dieses Moments klar, dass die Qualität all dieser
Führungskräfte heute darin bestand, dass sie sich nicht als Experten des Führens erhöhen, sondern eine Art demütige Haltung einnehmen, unentwegt über das Führen zu lernen - mit, für und dank
denen, die sie "führen". Es klingt schlicht. Durchaus. Doch wie in vielen anderen Bereichen meines Schaffens scheint auch hier vieles mit der Haltung zu stehen und zu fallen. Haltung verändert
alles und spricht alle Sprachen: Kopf, Herz und Bauch. Vor allem im Umgang mit Menschen scheint die Resilienz des Gelingens eng mit der Vielzahl an Verbindungen innerhalb dieser Sprachen
zusammenzuhängen. Klingt schlicht, ist es auch. Haltung bringt Halt mit sich - und je beschleunigter eine Zeit ist, desto mehr Halt brauchen wir und auch die, mit denen wir gehen. Möglicherweise
ist Haltung heutzutage nicht nur ein Thema, wie es das schon zu allen Menschenzeitaltern war, sondern auch einer der Garanten in den aktuellen Gezeiten Bestand zu haben.
Dankbar breche ich mich mit einem trinkggeldhaltigen Gruß auf, schreite hinaus und stimme in die städtische Hektik mit einem langsamen Schmunzeln ein.
T.H.